Post Production

 

Nur in den seltensten Fällen trifft man ein architektonisches Bauwerk samt seinem Umfeld in absoluter Bestform an.

Einerseits liegt das daran, dass zwischen Baufertigstellung und Übergabe in der Regel nur ein sehr spartanisch bemessener Zeitraum für das Fotografieren bleibt. Die Reste der Bautätigkeit, vom Bauzaun bis zum Kran, vom Container bis zur verschmutzten Straße, beeinträchtigen das Bild ebenso wie das Fehlen der Bepflanzung und die unvermeidlichen Begleiterscheinungen von eben fertiggestellten Wohnungen: die allgegenwärtige nackte Glühbirne und die freiliegenden Installationen…

 

 

 

 

Andererseits ist bei bereits bewohnter Bausubstanz davon auszugehen, dass nun zwar der Rasen gepflegt ist und die Bauzäune weg sind – die Bewohner dem Gebäude aber auf ihre Art ihren Stempel aufdrücken, der sich häufig nicht mit architektonischen Intentionen deckt. Balkons werden als Abstellkammern verwendet, Fahrräder und Kinderwagen werden abgestellt, Möblagen und Gebrauchsgegenstände verteilt. Es menschelt…

Und dann wären da noch die allgegenwärtigen optischen Killer des Alltags: Das Auto, der Telefonmast, das Stromkabel, der Kanaldeckel, die Verkehrsschilder aller Art, der geflickte Asphalt,….

Für den verblüffend fokussierfähigen menschlichen Sehsinn ist das alles nicht weiter tragisch. Er kann vor Ort die alltäglichen Störfaktoren nahezu perfekt ausfiltern und die ästhetischen Qualitäten eines Bauwerks trotzdem beurteilen. Halteverbotstafeln, Zementsäcke und Glühbirnen nimmt der Mensch nur als unwichtige Randerscheinung wahr, wenn er sich auf den Schnitt eines Raums oder die Linien einer Fassade konzentriert.

Ganz anders die Kamera. Sie ist ein objektives, unbestechliches Instrument, das völlig neutral, ungewichtet, unreflektiert und schonungslos aufzeichnet.

Die Kaugummiflecken am Beton, die Stopptafel, der schmutzigen Lada, das durchhängende Telefonkabel, das grelle Werbeplakat und die elegant gegliederte Gebäudefassade  stehen als Bildinformation gleichwertig nebeneinander. Und weil ein Foto nun mal statisch ist, während unser reales Leben aus einer Abfolge von sich ständig ändernden Eindrücken und Blickwinkeln besteht, hat unser Sehsinn bei einem “eingefrorenen” Bild deutliche Mühe beim Ausblenden des Unwichtigen und Störenden. Schnell wirkt ein Bild “unrund”,  “unharmonisch”, überfrachtet oder einfach banal, wenn die Imponderabilien des Alltags sich darin breitmachen.

Der Erfolg meiner Arbeit liegt darin, dass ich versuche, einem buchstäblich MAKEL-losen Bild so nahe wie möglich zu kommen. Das ist mit den Mitteln der Fotografie nicht möglich bzw. nur dann möglich, wenn man auf 8 von 10 Perspektiven verzichtet, weil ein Störfaktor in den Bildausschnitt gerät.

Im Wesentlichen bekommt man ein weitgehend makelloses Bild schlicht und einfach dann, wenn man alle Makel daraus entfernt. So gut und notwendig das “fotografische Auge” ist – mindestens ebenso zählt der zähe Fleiß in der Nachbearbeitung, die bei manchen besonders vom Alltag belagerten Objekten enorm langwierig, zeitraubend, tricky und immer ein Geduldsspiel ist. Leider kann man auch heute noch keiner KI befehlen, aus einem individuellen Foto diese und jene Störfaktoren zu entfernen oder durch was-immer zu ersetzen. Die Ergebnisse sind unbefriedigend, nach wie vor führen nur Geduld und “Handarbeit” zum perfekte Resultat.

Die sorgfältige Nachbearbeitung ist mein Markenzeichen: sie stellt eine Gewichtung zugunsten der Architektur her und gibt dem Gebäude jene harmonische Ausstrahlung, die der Betrachter im Optimalfall vor Ort verspürt.

DAS FOTO IST NUR DIE BASIS FÜR DAS FERTIGE BILD

Die Post Production oder Bildbearbeitung haucht gnadenlosen Moment-Aufzeichnungen menschlichen Spirit und Emotion ein. Aus dem technischen, einfältigen Abbild entsteht ein mit dem Zauber des menschlichen Seh-Sinns gefiltertes Bild. Ein Bild von der Anmutung und der Ausstrahlung eines Bauwerks. Das Gebäude bleibt dabei immer authentisch – es wird lediglich von den optischen Störfaktoren aus seiner Umgebung entrümpelt.

Die VORHER – NACHHER Beispiele geben einen kleinen Einblick in die verblüffende Wandlung vom Abbild zum Bild, die eine beherzte Bildbearbeitung möglich macht….

Für eine Image-Broschüre waren Fotos vom wunderschönen neuen RWA-Gebäude mit weitläufiger Parkanlage gefragt. Diese war zwar schon – teils mit Rollrasen – angelegt, die Bäume waren großteils gesetzt – aber so spät im Herbst konnte die funkelnagelneuen Anlage natürlich noch keinen “fertigen” Eindruck machen. Mit viel liebevoller Detailarbeit wurde Baum für Baum im passenden herbstlichen Look nochmals per Photoshop eingesetzt, die Spuren anderer Baustellen im Bildhintergrund entfernt, ein effektvollerer neuer Himmel eingezogen (den ich drei Tage zuvor 20 km weiter fotografiert hatte) und das Gebäude per Nachbelichtung zum Strahlen gebracht.

 

Das hübsche und an sich fertiggestellte Objekt sollte im Zuge einer größeren Fototour “mitgenommen” werden – leider war die Terrasse noch weit von einem präsentablen Zustand entfernt. Nach kurzem Abwägen  kam ich zu dem Schluss, dass eine umfangreiche Retusche vom Kosten-Nutzen-Standpunkt aus günstiger wäre als eine erneute Anfahrt für zwei Außenfotos zu einem späteren Zeitpunkt – ganz abgesehen davon, dass der Auftraggeber die Präsentation des Objekts nicht auf ungewisse Zeit verschoben haben wollte. – Man kann Bauherren nun mal nicht vorschreiben, wann sie ihre Außenanlagen fertiggestellt habe müssen…   Die Retuschen erforderten nahezu detektivischen Spürsinn 😉  

Paradebeispiel für ein von alltäglichen Störfaktoren belagertes Gebäude: Straßenschilder verstellen den Ausblick und künden, wie der Container weiter hinten im Bild,  von der noch nicht abgeschlossenen Bautätigkeit, ein Baufahrzeug hat den Gehsteig gewässert und Flecken hinterlassen, ein Kabel der Straßenbeleuchtung hängt unmotiviert ins Bild, parkende Autos und ein Mobil-WC bringen, ebenso wie der tiefe Schatten des Nachbargebäudes, Unruhe ins Bild. Als interessierter Betrachter vor Ort kann man sich all das problemlos wegdenken und sieht altes und neues Gebäude als harmonischen zusammenhängenden Komplex. Die Kamera liefert zum Zeitpunkt der Aufnahme ein Straßenschilderfoto vor fleckigem Asphalt mit Kabel-Deko vor Gebäuden im Hintergrund. Erst durch eine detailreiche Retusche, die im Original natürlich auch einem starken Zoomen ins Bild standhält, wird daraus ein Bild, das der Architektur gerecht wird und in annähernd dieser Form erst zu einem viel späteren Zeitpunkt entstehen hätte können – sofern man dann auch mit großem Aufwand die Straße gesperrt und ein temporäres Halteverbot errichtet hätte. 

Ein Rasen ist recht schnell per PS “verlegt” (wenn man auf ein umfangreiches Archiv von Rasen mit unterschiedlichen Lichtbedingungen zurückgreifen kann) – das Problem bestand in diesem Fall darin, die von Baumaschinen abgedeckten Gebäudeteile teils zu rekonstruieren, teils aus vorsorglich angefertigten anderen Fotos einzufügen. Ich verzichte nicht auf wichtige Perspektiven, bloß weil sie zum Zeitpunkt der Aufnahmen ungünstig verstellt sind. Mit den Mitteln der Nachbearbeitung und vorausschauender Fotografie lassen sich meist auch unvorhergesehene Probleme lösen. Allerdings ist Fleiß in der Post Production angezeigt….

Schilfmatten als temporärer Sichtschutz, bis die Büsche hoch genug sind, um den Job zu erledigen: ein nützlicher Behelf für die Bewohner, aber optisch kein Renommé für das Ensemble, das in seiner Gesamtheit präsentiert werden sollte.  Auch die Mülltonnen, Verkehrsschilder etc. dürfte kein Betrachter vermissen. Das retuschierte Foto zeigt die naturnahe, saubere und aufgeräumte Anmutung der Wohnhausanlage vor Ort  besser als das Originalfoto.

Autos…. Sie stehen immer da, wo man sie nicht brauchen kann. Wenn man beim Fotografieren richtig tüftelt, weiß man, ob man das Puzzle in der Post Production zufriedenstellend zusammensetzen kann. Manchmal müssen dafür auch Dinge fotografiert werden, die gar nicht Teil des Auftrags sind – hier etwa das Nachbarhaus mit Blumenbeet…

 

Wo Menschen leben, menschelt es, besonders, wenn Kinder im Haus sind. Natürlich will man nicht das gesamte Spektrum seines Privatlebens in einem Magazin veröffentlicht sehen – und vice versa lenkt das private Sammelsurium von der Betrachtung der Architektur ab. Um zu einem dezent belebten Architekturbild zu kommen, kann man als Architekturfotografin entweder die Bewohner des Hauses einen Tag lang durch ausufernde Aufräumarbeiten zur Verzweiflung bringen – oder man bleibt gelassen und nutzt seine Erfahrungswerte, um über das effizienteste Vorgehen zu entscheiden: was wird vor Ort weggeräumt, was bleibt als persönlicher Touch im Bild – und was kann weniger schweißtreibend in Photoshop  weggeräumt werden.

Ich habe bereits zahlreiche gut eingewohnte Architekturobjekte fotografiert; häufig wurde ich mit großer Besorgnis von Bewohern erwartet, die mit einem auf den Kopf gestellten Haushalt rechneten – und sich eine Stunde später dankbar verabschiedeten, weil alles ganz unkompliziert abgelaufen war. Ich finde, Fotografie soll vor Ort nicht zur Plage werden… 

 

Die Baufertigstellung hatte etwas länger gedauert als geplant, dann hatte wochenlang das Wetter nicht mitgespielt…. und so erwarteten mich an einem strahlend schönen Spätherbsttag statt fröhlich bunter Herbstbäume, die wunderbar zum neuen Schulgebäude gepasst hätten, düstere Baumgerippe. Nicht mit mir 😉  – natürlich habe ich den farbenfrohen Zustand der Vegetation per Rendering zurückgeholt.  

Auch, wenn es nicht um große Architektur geht sondern “nur” um eine Facette (hier der Hinweis am Gebäude auf die Stadt Wien) , die der AG im Rahmen einer Fotostrecke gern ins Bild gerückt haben möchte, gelten meine Ansprüche an Relevanz und  Ästhetik. Ein Detailfoto von der Hinweistafel “mit etwas Hintergrund” , ohne diese Perspektive des Bauwerks komplett zu zeigen, hätte viel Arbeit erspart, wäre aber als etwas zu bemühtes Logo placement ohne näheren Informationswert dahergekommen. Also blieb nur wegräumen – entweder physisch oder per Retusche. Nachdem an dem Tag sieben solcher Sportstätten am Programm standen und ich allein unterwegs war, schleppte ich lieber Pixel statt Möbel….. 😉  Dazu kamen die Bauarbeiten links im Hintergrund, für die ich den geplanten fertigen Zustand recherchierte und in der post production umsezte.